Gedanken sind wie Wellen

Yoga und Surfen

In den 60er Jahren ging ein Poster von Swami Satchidananda auf dem Surfbrett  in weißem Gewand und mit langem Bart  um die Welt. Darunter standen die Worte:

„Du kannst die Wellen nicht aufhalten. Aber du kannst lernen, sie zu surfen.

Mit diesen Worten wies der Swami auf ein wichtiges yogisches Prinzip im Umgang mit dem Geist hin: Auch wenn es uns nicht möglich ist, den Geist in eine permanente, tiefe Stille zu versetzen, kann man doch lernen, mit den Gedanken sinnvoll umzugehen. Also anstatt zu versuchen, die Gedankenwellen aufzuhalten, kann man lernen, „sie zu surfen“.

In den Pantanjali-Sutren heißt es: „Im Yoga geht es darum, den Geist abzuschalten.“ Das ist allerdings eine der größten Herausforderungen, denn die Gedanken bewegen sich permanent. Sie kommen und gehen, ohne dass wir sie steuern können. Mal sind sie durcheinander, mal sind sie geordnet. Und das, was heute wie ein großes Hindernis erscheint, kann morgen schon seine Bedeutung verloren haben. Wie die Welle, die sich aufbäumt, sich tosend überschlägt und am Strand verschwindet. Sobald wir beginnen, gegen die Gedanken anzukämpfen, wird es schwierig, das ist ein Kampf gegen den Strom. Wenn wir uns einfach treiben lassen, können wir untergehen. Aber auf der Welle, da können wir sein, können wir Spaß haben. Da stehen wir über den Dingen, ändern die Perspektive.

Asana-Praxis auf dem Surfboard

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Parallelen entdecke ich zwischen Yoga und Surfen, womit hier bei uns in Deutschland das sogenannte „Wellenreiten“ gemeint ist. Was in der Meditation oft vom Intellekt gesteuert, noch Theorie ist, wird auf dem Surfbrett zur Praxis: Die Schnelligkeit des Wassersportes lässt keine Kopflastigkeit, geschweige denn lange Überlegungen zu. Das Denken wird ausgeschaltet. Sobald eine passende Welle kommt, richtet der Surfer sein Brett aus, paddelt los, um die gleiche Geschwindigkeit wie die Welle zu erreichen und springt dann im richtigen Moment auf das Brett: eine Performance der Körperbeherrschung: Er richtet Arme, Schultern und den Oberkörper aus, hält das Gleichgewicht, lenkt, gleitet, verlagert sein Gewicht, um die Richtung zu ändern, beugt die Knie. Asana-Praxis im blauen Element. Kühn und anmutig gleitet der geübte Wellenreiter dahin. Das Bewusstsein liegt einzig und allein in der Gegenwart. Körper und Geist sind eins.

Gemeinschaft und soziale Kompetenz

Surfen ist mehr als ein Sport, es ist ein Lebensstil. „Freiheit“ und „Unabhängigkeit“ lauten seine Prinzipien. Dazu gehört, ohne festen Wohnsitz von Küste zu Küste reisen. Unbekümmert, sich meist von Job zu Job hangelnd, auf den Fluss des Lebens vertrauend. Und wie in einer spirituellen Sangat steht für den Surfer die Gemeinschaft ganz oben. Respekt und Solidarität im Umgang miteinander gehen einher mit dem Respekt vor der Natur. Die Surfrider Foundation ist ein weltweit aktiver Verein für den Küstenschutz. In den 90ern von Wellenreitern in Kalifornien gegründet, setzen hierzulande zahlreiche Mitglieder die Idee weiter in die Tat um, von Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu Strandreinigungen.

Soziales Engagement zeigt Florian Gränert, Erzieher und Entspannungspädagoge in der Sylt-Klinik, einer Einrichtung für krebskranke Kinder, die, begleitet von ihren Eltern, 4-wöchige Kuren auf der Nordsee-Insel verbringen. Neben den klassischen Therapieformen wie Tanz und Gestalt hat Gränert in Eigeninitiative Wellenreiten als neue Form der Unterstützung mit eingebracht. Der 30-Jährige nimmt die kranken Kids von 6 bis 15 Jahren mit auf das Wasser, um ihre Lebensfreude neu zu wecken. „Encourage surf therapy“ ist laut Gränert und seiner Kollegin, der Ergotherapeutin Carolin Fischer, weltweit das einzige Projekt seiner Art und findet hoffentlich Nachahmung.

Surfspot Sylt

Sylt ist aufgrund seiner vorgelagerten Insellage der einzige Wellenreitspot in Deutschland. Zahlreiche Wassersportler reisen aus der gesamten Republik stilecht im VW-Bus an und bilden zusammen mit den einheimischen Surfern eine eigene Community abseits von Nobelhotels, Promis, Champagner und Austern. Der angesagteste Spot liegt vor dem Café „Badezeit“ in Westerland. Rantum und Wenningstedt bieten durch vorgelagerte Sandbänke ebenso gute Bedingungen. Eine kleine Randgruppe von Lister Rettungsschwimmern und Strandkorbwärtern trifft sich auf dem Board am nördlichsten Inselort und genießt die relative Ruhe, denn dieser Spot ist für mit der Bahn anreisende Surfer nicht so leicht zu erreichen.

Aber aufgepasst: Wellen gibt es nicht jeden Tag. Die Bedingungen sind wind- und gezeiten-abhängig: Bei Ostwind erinnert die Nordsee an einen großen Tümpel und das Wasser ist spiegelglatt. Das freut im Sommer die Sonnenanbeter, weil das eine „stabile Wetterlage“ verheißt. Bei Westwind gibt es Wellen, denn der Wind kommt vom Meer. Sowohl Nord- wie Südwind kann gute Wellen bringen, aber haupt-sächlich hat der Surfer jetzt gegen die Strömung zu kämpfen. „Wer auf Sylt Wellenreiten kann, kann überall wellenreiten.“ Dieser Sylter Slogan hat seine Berechtigung. Die Wellen brechen sehr schnell und laufen sehr kurz, ein „beachbreak“, die Wellen schlagen direkt und hart auf dem Sand. Der Kick auf dem Board dauert nur wenige Sekunden.

Drei- bis viermal im Jahr tritt er auf, der magische Moment: Nach einem heftigen Sturm aus Westen lässt der Wind nach und dreht auf Ost, ein sogenannter „Offshore-Wind“. Dann rollen gleichmäßige und wohldefinierte Bilderbuchwellen.

Surf- und Yogacamps sind Trend

In Fachzeitschriften über den Wassersport fällt zunehmend die Werbung von „Yoga und Surfen“-Camps auf, eine Möglichkeit, das Wellenreiten in Verbindung mit Yoga zu lernen. Auf Sylt gibt es das schon lange:

Alljährlich veranstaltet die Firma Rip Curl Surfcamps in Westerland. Bei den mehrtägigen Kursen in dem trendigen Wassersport steht Yoga mit auf dem Programm und bietet ein ganzheitliches Aufwärmen der Muskeln. 2008 hatte das Rantumer Tui Dorfhotel erstmals ein 3-tägiges Surfcamp im Angebot. Die Teilnehmer erlernten am Strand den Sonnengruß, einen idealen Bewegungsablauf, der vor allem den Rücken, die Hüft- und Kniegelenke dehnt.

Yoga bezieht den ganzen Körper ein. Die Haltungen sind so vielseitig, dass sie eine ideale Ergänzung zu allen Sportarten sind, bei denen der Körper nur einseitig bewegt wird. Ein Jogger beispielsweise hat meist verkürzte Muskeln an der Rückseite der Oberschenkel. Der Wellenreiter befindet sich beim Paddeln in der Kobra-Haltung, er richtet den Ober-körper permanent auf und überstreckt die Nackenmuskulatur. Fazit: Der Hals verspannt sich und die Schultern schmerzen, außerdem belastet die Hohlkreuz-Position die untere Wirbelsäule. Abrupte Bewegungen beim Aufrichten auf dem Brett sind eine große Herausforderung für Hüft- und Kniegelenke.

Sylter Yogis und Surfer

Der Sylter und begeisterte Surfer Angelo Schmitt sah vor 12 Jahren zum ersten Mal am Strand in Kalifornien einen Yoga-Praktizierenden, der sich mit Dehnübungen auf das

Surfen vorbereitete. Davon inspiriert studierte Schmitt die ostasiatische Disziplin, merkte rasch, dass die Übungen gut für ihn waren, und absolvierte eine Kinderyogalehrerausbildung. Inzwischen hat der 36-Jährige die Techniken in seinen Alltag und in seine Surfkurse integriert, die er in Rantum gibt.

Schmitt’s Lieblingsübung ist der Kopfstand. „Balance und nicht Kraft macht dieses Asana einzigartig, und genau darum geht es beim Surfen. Man versucht, das Gleichgewicht mühelos auf einer kleinen Fläche zu halten.“

Der Sylter Rettungsschwimmer André Lorenz geht trotz des manchmal rauen und kühlen Nordseewetters in jeder freien Minute surfen und bereist in den Wintermonaten Spots in der ganzen Welt. Er schwört auf Yoga, denn das gibt ihm die nötige Gelenkigkeit und Gelassenheit. Der 30-Jährige mag am meisten dynamische Übungen aus dem Kundalini Yoga, die den Rücken dehnen und die Wirbelsäule flexibel halten.

Millo Lüderitz hat vor 2 Jahren zusammen mit Angelo Schmitt den ersten und einzigen Wellenreitverein der nördlichsten Insel Deutschlands gegründet. Schwerpunkt der Arbeit ist die Förderung des Nachwuchses und die Vernetzung von Surfern untereinander. In seiner Freizeit widmet sich der 40-Jährige der Kunst, in den Sommermonaten ist der Rettungsschwimmer in Wenningstedt. Für ihn bedeutet der Sonnengruß die ideale Vorbereitung auf den Ritt in der Welle. Die Knie- und Fußgelenke werden beim „take-off“, dem schnellen Aufspringen auf das Brett, stark beansprucht. Der Klassiker aus dem Hatha-Yoga dehnt die Sprunggelenke und stärkt zudem die Armmuskeln, und die braucht der Surfer zum Paddeln.

Yoga-Übungen für Surfer

Durch die überstreckte Haltung beim Paddeln in der Bauchlage auf dem Brett verspannt sich der Nacken leicht. Eine wohltuende Gegendehnung für die Halswirbelsäule bietet der Schulterstand. Eine dynamische Übung aus dem Kundalini Yoga nach Yogi Bhajan sorgt ebenfalls für Ausgleich: Im Schneidersitz sind die Hände im Nacken verschränkt, die Ellenbogen zeigen zu den Seiten, die Wirbelsäule ist gestreckt. Mit dem Ausatmen wird der Oberkörper nach unten gebeugt, der Kopf geht Richtung Boden, der Rücken wird rund, das Kinn wird zur Brust gezogen. Beim Einatmen wird der Oberkörper zurück in die Ausgangs-position aufgerichtet. Die Übung soll 3 Minuten gemacht werden. Die Bewegung ist lang-sam und bewusst, die Augen sind geschlossen. Die Konzentration liegt auf der Verbindung von Atem und Bewegung

(Dieser Artikel ist 2011 im deutschen Yogajournal erschienen.)